Mit seinen rund fünf Lebensjahrzehnten ist Hannes eindeutig der älteren Hälfte der Geschäftsleitung zuzuordnen. Erst im letzten Jahr stießen neue Führungskräfte in die oberste Etage vor und Hannes ist glücklich darüber, dass er zumindest seinen angestammten Platz als Leiter der Produktion behalten darf. Der CEO, der Finanzchef und der Leiter Forschung & Entwicklung sind jünger, exakt 14 Jahre und zwar alle. Es ist garantiert reiner Zufall, dass alle drei denselben Jahrgang 1980 haben, an derselben Universität studiert haben und im gleichen Serviceclub sind. Man hört immer wieder, dass die Zeit von Seilschaften vorbei ist. Hier spielt ganz offensichtlich das Schicksal mit, dass sich drei ‚verlorene’ Kollegen wiedergefunden haben. Hannes glaubt das zwar nicht, aber so wird es von der Geschäftsleitung nun mal kommuniziert.Die Strategie des Sonnenkönigs
Die unausgesprochene Philosophie dieser Führungscrew erinnert Hannes an den Geschichtsunterricht. Im Jahr 1638 ist der ‚Sonnenkönig’ Louis XIV geboren, in einem Jahr mit derselben Quersumme wie 1980. Wie sich die Philosophie auswirkt? Praktisch in allen Funktionen und auf allen Ebenen wird der Druck erhöht. Nach einer weiteren Welle von Personalinformationen mit dem Inhalt „der Gurt muss enger geschnallt werden“ ist die Stimmung im Keller. Die ersten verbalen Bedrohungen aus den unteren Hierarchiestufen werden laut. Just in diesem Moment verteilen die Chefs großzügige Geschenke an die Mitarbeiter: ein dekadentes Mitarbeiterfest auf Sylt, Weihnachtspakete für alle aus dem Delikatessen-Laden in Florenz. Damit ist die Truppe wieder ruhiggestellt.
Das Projekt Karnevals-Woche
In dieselbe Kategorie ordnet Hannes sein ihm aufgebrummtes Projekt ‚Karnevals-Woche’ ein. Rund um die Faschingstage soll er dafür sorgen, dass die Menschen im Betrieb dank entsprechender Maßnahmen spüren, dass dem CEO und seinen Trabanten diese närrischen Tage am Herzen liegen. ‚Gib Papierschlangen und du erhältst Aufopferung’ – so lautet für Hannes die vereinfachte Gleichung. Er fragt sich, an welcher Hinterhof-Universität im Norden von Alaska diese Weisheit gelehrt wurde. Denn wer ausser römische Kaiser und Louis XIV würde auf eine solche Idee kommen?
Das Firmenlogo als Konfetti
Hannes bleibt nichts anderes übrig, als das Projekt umzusetzen, will er weiter in der Geschäftsleitung bleiben. Also macht er sich gewohnt strukturiert, wie er es früher gelernt hat, an die Projektarbeit mit Zieldefinition, Ressourcenplanung und so weiter. Er sitzt im Büro, übt sich im ‚Einzel-Think-Tank’ und beginnt zu notieren. Das einfachste sind die Dekorations-Elemente. Diese lässt man einfliegen, denn Papierschlangen aus dem Aldi sind ja wohl zu despektierlich. „Wir genügen höchsten Ansprüchen“ pflegt die Chefetage zu posaunen. Darum sollen es handgeschöpfte Papierschlangen aus einer Edel-Papier-Manufaktur in China sein. Das Konfetti muss von Hand ausgeschnitten sein und wer genau hinschaut, sieht, dass es nicht 08/15-Konfetti sind, sondern Kleinst-Interpretationen des Firmenlogos.
Die rote Nase mit Rosmarin-Duft
Auch die rote Nase darf nicht fehlen. Bei einem Bestand von rund 1000 Mitarbeitern lässt sich beim Lieferanten sogar eine Spezialausgabe bestellen. Das Firmenlogo auf der Nase ist eine Selbstverständlichkeit. Im Inneren riecht die Nase zusätzlich nach Rosmarin und Koffein – die nachweislich motivations- und energieförderlichsten Düfte.
Das Buffet in fastnächtlichen Farben
Die kulinarische Auswahl im Personalrestaurant kann aus logistischen Gründen nicht verändert werden. Aber die schöpfenden und kassierenden Mitarbeiter sind als Bären verkleidet und das Beilagen-, Fleisch- und Salatangebot ist mit biologisch abbaubaren Lebensmittelfarben fastnächtlich getrimmt. Die Nudeln strahlen in diskretem Rot, die Pommes erkennt man am traditionellen „british-racing-green“ – notabene in derselben Farbe wie das Dienstfahrzeug des CEO, ein Jaguar F-Pace. Die Salatsauce ist pink, die Tomatensauce in Firmengelb. Das macht Spaß und zeigt gleichzeitig auch, wie Mitarbeiter mit dem Ungewohnten umgehen können.
Die Faschingszeitung
Nun macht sich Hannes noch an eine heiklere Sache. Er möchte eine Art Faschingszeitung ins Intranet stellen. Ein Jaguar – das Raubtier – ziert die Frontseite, der Name der Zeitung ist passend dazu ‚Lucky-Jag’. Ob das wohl gut ankommt? Hannes ist noch etwas unsicher. Aber je mehr er in Fahrt gerät, desto weniger zweifelt er. An Sarkasmus spart Hannes nicht. Er sucht Donald Trump-Zitate und legt sie dem CEO in einem Leitartikel mit dem Titel ‚Wenn unser CEO trumpen würde’ sozusagen in den Mund. Das ergibt dann folgende Aussagen:
- Ich werde eine große Mauer an der nördlichen Grenze zum Gelände unseres Mitbewerbers bauen und ich werde ihn die Mauer bezahlen lassen.
- Ich bin der beste CEO, den Gott je erschaffen hat.
- Lerne immer aus den Fehlern anderer, nicht aus den eigenen – das ist billiger.
- Der einzige Unterschied zwischen mir und den anderen Mitgliedern der Geschäftsleitung ist, dass meine Frauen schöner sind.
Das kommt bestimmt gut, schiesst es Hannes durch den Kopf, und er freut sich, dass er für einmal etwas wirklich Nachhaltiges für das Unternehmen tun kann. Er gerät bei der Arbeit beinahe in Motivationstrance und dann hat er einen Flash: Online will er ein Kostüm für den CEO bestellen, das dieser dann die ganze Woche im Betrieb tragen soll. Die Suchbegriffe lauten ‚Kostüm’ und ‚Louis XIV’…
* Hannes managt ist eine feinsinnige Satire aus den und über die Management-Etagen.