Da waren sie also, die beiden Anwärter Angela Merkel und Martin Schulz beim groß angekündigten Rededuell am Sonntagabend. Vorbereitete Fragen, auswendig gelernte Antworten, praktisch keine Bewegung – ja, so war „TV aus den 70ern“.
Die politischen Analysen und erste Meinungsumfragen machten bereits am Sonntag spät abends die Runde, am Montag sind die Zeitungen voll damit. Oft gehört und gelesen: „Schulz war besser als vermutet, der Abstand bleibt“. Hand aufs Herz: So ein Verdikt hätte man schon fast vorher formulieren können. Absehbar, kaum überraschend, etwas flach und wenig begeisternd. Ein Abklatsch des Rededuells selbst.
Die politischen Aussagen sind gemacht, deshalb lege ich hier bewusst den Fokus auf das Kommunikationsverhalten der Protagonisten.
Grundsätzlich war es eine sehr faire Angelegenheit. Da wurde zugehört, einander auch mal recht gegeben („da haben Sie völlig richtig gehandelt“) oder Fehler zugegeben („da haben wir in der Tat zu wenig…, das haben Sie richtig gesehen“). Ein hoher gegenseitiger Respekt zwischen Moderatoren und Befragten. Der Zuschauer spürt, dass man sich im Grunde kennt und wertschätzt.
Das kann man jetzt als „mangelnde“ Schärfe oder Konfliktfreudigkeit abtun. Eine Zeitung schrieb von „Kuschel-Atmosphäre“. Mir als Kommunikationsspezialisten gefallen „runde Gespräche“. Als Urdemokrat, der jährlich mindestens zu einer Wahl und zu mindestens zehn Sachabstimmungen gerufen wird, der aus einem Land kommt, das fast jede Bewilligung für eine Luftseilbahn einer Gemeindeversammlung vorlegt, gefällt der Stil der politischen Auseinandersetzung. Es ist keine Show, sondern Teil des Entscheidungsprozesses und des Zusammenlebens. Beides braucht keine Gladiatoren, sondern verantwortungsvolle Bürger und Politiker.
Kommunikativ sind mir im Verlauf der 1,5 Stunden aber auch Punkte aufgefallen, die mir etwas zu denken geben.
Zu rund 2/3 der beidseitig gemessenen, zugestandenen Gesprächszeit wurde in der Vergangenheitsform geredet. „Wir haben …“, „ich wollte damals …“. Beim restlichen Drittel blieb es ebenfalls meist bei „wir müssen …“ und anderen Allgemeinplätzen. „Ich werde mich mit aller Kraft dafür einsetzen …“ war schön gemeint, aber wenig konkret, weil nicht gesagt wurde, was dann letztlich die Person auch wirklich tut.
Dann kommt die Leidenschaft oder eben Nicht-Leidenschaft. Es bleibt, was schon den ganzen Wahlkampf über zu beobachten war: Es reden in meiner Wahrnehmung zwei Technokraten. Sie beschreiben, was alles war oder ist, und was „man“ ändern müsste.
Ein „auf-oder-ab“ in der Stimme, eine wirkliche begeisterte Mimik? Beides habe ich so gut wie gar nicht gehört und gesehen. Das hat nicht einmal etwas mit einem offenen Schlagabtausch zu tun, aber die eigene Vision eines modernen Deutschlands sollte doch das Herz so richtig zum Ausbruch bringen? Wer von einem Ziel beseelt ist, zeigt mehr Stimme, mehr Modulation, größere Gesten, die Augen leuchten mehr, er oder sie ist einfach präsenter. Nein, nicht einstudiert, das kommt ganz und gar natürlich rüber, wenn man für etwas brennt. Dann gibt man dem inneren Feuer das Fenster und lässt so auch andere teilhaben. Denn nur das steckt an.
Fast schon urkomisch fühlt sich die Form der „Diskussion“ an. Einst bei Nixons Wahlkampf eingeführt, verkommt es hier zum vorbereiteten Konsum. Vier Moderatoren stellen gerecht verteilt abwechselnd Fragen und die Kontrahenten geben zeitgenommen Antwort. Das ist fair, korrekt und kann man ja auch so stehen lassen. Aber moderne Medien funktionieren heute anders. Es hält eine Form der Kommunikation Einzug, die sehr stark (wieder) dialogorientiert ist. Auf Facebook wird gelikt, Zeitungsartikel werden online kommentiert, Twitter-Aussagen werden weiter dargelegt, begründet und verändert.
Das alles zeigt, dass Menschen heute nicht mehr „einfach nur dasitzen“ und berieselt werden möchten. Zumindest im zweiten Teil eines solchen TV-Duells hätte das irgendwie genutzt werden müssen, will man denn zeigen, dass Kommunikation und Beteiligung in der Demokratie im Grunde das Allerwichtigste ist.